USA, 2010
Kinostart: 20.01.2011

Die Verwandlung

Die Inhaltsangabe zum neuen Film von Darren Aronofsky erinnert auf den ersten Blick an die des letzten Films von Darren Aronofsky. Natalie Portman spielt Nina, eine Ballerina, die ihrer Karriere Alles opfert. Freunde hat sie keine, ihr einziger menschlicher Kontakt außerhalb des Balletts ist ihre Mutter (Barbara Hershey). Diese war ebenfalls Ballerina und treibt nun ihre Tochter zu den Leistungen an, die sie selbst nicht zustande brachte. Nina sieht die Chance auf ihren großen Durchbruch gekommen, als der gefeierte Regisseur Thomas Leroy (Vincent Cassell) eine neue Interpretation von Tschaikowskis Schwanensee aufführt. Und tatsächlich sieht Thomas in Nina eine fast perfekte Schwanenkönigin. Den unschuldigen, grazilen weißen Schwan tanzt sie besser als jede Andere, doch für den schwarzen, ein Ausbund an Sinnlichkeit und Verruchtheit, fehlt ihr die Emotion. Nach und nach beginnt sie, sich auf die Rolle einzulassen - mit verheerenden Folgen.

Zeigte Aronofsky mit The Wrestler den körperlichen Verfall eines manischen Sportlers, verfolgt er mit Black Swan den geistigen. Natalie Portman trägt den Film formidabel. Mit Hershey und Cassell, wie auch mit Mila Kunis als ihre Gegenspielerin findet sie starke Unterstützung, doch Black Swan ist zweifellos Portmans Film. Ihre Dominanz wird durch die Tatsache unterstützt, dass praktisch keine Szene ohne sie passiert. Der starre Fokus auf die Hauptfigur schlägt sich in einer vollkommen subjektiven Erzählperspektive wieder, die dem Zuschauer nach und nach den festen Boden der Realität unter den Füßen wegzieht. Vielleicht ist dies auch nötig, um sich auf diese komplexe Figur einzulassen. Nach außen hin wirkt sie, wie sie sich auch selbst sieht: ein zartes Pflänzchen, das ständig droht, einzuknicken und zu verwelken. Doch wenn sie des Nachts davon träumt, den Schwanensee zu tanzen, tanzt sie nicht mit Prinz Siegfried, sondern mit dem dämonischen Rotbart. Der Tanz von Schönheit und Tod - ein Kernthema von Aronofskys Filmen.

Black Swan ist vieles auf einmal. Er ist die Geschichte einer Frau, die ihr Leben, ihre Seele dem Beruf opferte, und beides riskieren muss, um als Tänzerin, als Künstlerin, zu glänzen. Er ist eine Metapher für den kreativen Prozess, der den Künstler vereinnahmt, transformiert, auf die Probe stellt und nicht immer unbeschadet davonkommen lässt. Und nicht zuletzt ist er ein packender Psychothriller, der die Frage stellt, ob ein Moment vollkommener Schönheit jedes noch so große Opfer wert ist - und sie mit einem euphorischen Ja beantwortet. Dabei bedient sich Aronofsky auch Mitteln anderer Genres, vom Cronenberg’schen Body-Horror bis hin zu David Finchers Fight Club, und schafft daraus eine Mischung, die sich einer klaren Genredefinition entzieht.

Wer mit der Ballett-Thematik nichts anfangen kann, sei beruhigt. Genau wie man kein Wrestling-Fan sein muss, um The Wrestler zu genießen, und kein durchs Weltall treibender Onkologe, um The Fountain etwas abzugewinnen, braucht es keine Liebe zu Tanz und blauen Zehen, um Black Swan als das zu sehen, was er ist: der faszinierendste Film des Jahres.

Felix Flex” Dencker